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Das Wohlbefinden von Mitarbeitenden ist eines der am häufigsten untersuchten Größen in der Organisationsforschung. Jedoch ist es alles andere als klar, was damit gemeint ist, denn es wird auf unterschiedliche Weise operationalisiert: Arbeitszufriedenheit (Tätigkeit, Bedingungen), affektives Wohlergehen (positive Gefühle überwiegen), Arbeitsengagement (Energie, Hingabe, Vertiefung), Arbeitssinn (Bedeutsamkeit, wertvoll) persönliches Wachstum und Selbstverwirklichung sind gängige Fassungen. Einigkeit besteht allein darin, dass es etwas Positives anspricht. Dies hat es beispielsweise mit dem Wohlwollen, dem Wohlklang oder dem Wohlstand gemeinsam.
Nähern wir uns weiter: „Gut“, richtig“, passend“, „angenehm“ und „günstig“ sind die sprachlichen Ursprünge des Begriffs, der seit dem 18. Jahrhundert in der deutschen Sprache auftaucht (im Englischen: „Well“) und irgendwie einen Zustand, eine Befindlichkeit (meint ursprünglich: herausfinden, erkennen) des körperlichen, seelischen oder sozialen Gesundseins beschreibt. Wir könnten das „oder“ mit mehr Anspruch auch durch ein „und“ ersetzen und das Ganze dann als eine leibliches Spüren dieses Gesundseins verstehen, was in einem phänomenologischen Sinne nicht mehr zwischen Kognitionen, Emotionen oder Transzendenzerfahrungen unterscheidet, sondern als ein existenzielles Grunderleben anzusehen ist.
Ein integrativer Rahmen zum Verständnis des Wohlbefindens von Mitarbeitenden
Assistant Professor Frank Martela von der Aalto-Universität in Finnland, der in 2020 das Essaywerk „A Wonderful Life“ verfasst hat, legt ganz frisch in 2025 und mit Bezug auf den finnischen Soziologen Erik Allardt (1973) und seiner multidimensionalen Wohlbefindenstheorie einen integrativen Rahmen vor, der meine gerade angestellte Überlegung für Organisationen und Führungskräfte mit Leben erfüllt, ohne trivial zu werden. Dabei bezieht er sich auf grundlegende psychologische Bedürfnisse, die er mit der Selbstbestimmungstheorie der uns von früher bereits bekannten US-Forscher Edwin Deci und Richard Ryan (2002) kombiniert. Es geht darum, was es bedarf, um Leben gut und erstrebenswert zu machen. Hier konkretisiert auf die Arbeit. Sicherlich lassen sich hierauf verschiedene Antworten grundsätzlich finden, aber das Erklärungsangebot von Martela ist in sich ein stimmiges.
Danach unterscheidet er ein funktionales Wohlbefinden von einem wahrgenommenen Wohlbefinden. Ersteres umfasst drei existenzielle Bedingungen, die mit spezifischen, hier nicht weiter gelisteten Bedürfnissen verbunden sind:
- Haben (Having) bezieht sich darauf, sich sicher zu fühlen und die notwendigen materiellen Ressourcen für das Überleben durch die Arbeit zu erhalten. Im weitesten Sinne sind dies die zentralen biologischen Bedürfnisse.
- Lieben (Love) konzentriert sich darauf, dass interpersonale, also soziale Bedürfnisse, am Arbeitsplatz erfüllt sein müssen.
- Tun (Doing) bezieht sich auf die Erfüllung Bedürfnisse nach Autonomie und Kompetenz in der Arbeit, die einen als aktiv, wirkmächtig und nicht als Spielball von anderen oder Geschehnissen erleben lassen. Fachlich wird hier von agentischen Bedürfnissen gesprochen.
Wahrgenommenes Wohlbefinden (Sein; Being) hingegen fokussiert sich hier auf das direkte Erleben von Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Nach Martela setzt es sich aus einem evaluativem (kognitive Bewertungen wie die Arbeitszufriedenheit, Erfüllung), affektivem (positive/negative Gefühlszustände) und konativem (Motivation; Streben nach Arbeitszielen) Wohlbefinden zusammen. Sie resultieren weitgehend aus der Erfüllung der drei genannten Bedürfnisarten am Arbeitsplatz und erzeugen damit ein Gefühl des Selbstverwirklichtseins, wie ich es formulieren würde. In dieser Lesart geht die Verwirklichung der oberen drei Bedürfnisse einem wahrgenommenen Wohlbefinden funktional erklärend voraus, während sie selbst beschreibende Bestandteile eben dieses funktionalen Wohlbefindens sind.
Praktische Implikationen des mitarbeiterseitigen Wohlbefindens für Führungskräfte
Die Personalpolitik, die Arbeitsbedingungen und das Führungsverhalten können nun so ausgestaltet sein, dass ein sogenannter „Erfüllungspfad“ beschritten wird (Arbeitssinn, positive Gefühle, Flow), oder es wird ein Frustrationspfad gegangen, der zum Unwohlsein führt (Entfremdung, negative Gefühle, Burnout). Aus Führungssicht heißt dies,
(1) die Grundbedürfnisse sicherzustellen, wozu ein sicheres Arbeitsumfeld genauso gehört wie ausreichende Ressourcen zur Bewältigung der Aufgaben (Haben)
(2) soziale Beziehungen zu fördern, beispielsweise durch Ermutigung zum Engagement in der Teamarbeit oder das Schaffen von Foren für den informellen Austausch und der Teamentwicklung (Lieben)
(3) die Entwicklung von Kompetenzen, gerade auch Autonomie, unterstützen, beispielsweise durch Empowerment und kompetenzfördernde Weiterbildungsmöglichkeiten (Doing) und
(4) das subjektive Wohlbefinden durch eine gezielte Ansteuerung der individuellen Bedürfnisse steigern, die Anliegen der Mitarbeitenden ernst nehmen und eine Kultur der Anerkennung pflegen (Being).
Fazit
Durch die Berücksichtigung dieser vier Punkte, die in sich natürlich mannigfaltiger ausdifferenziert werden können, fördern Führungskräfte das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden nachhaltig und tragen somit zu einer positiven und produktiven Arbeitsumgebung bei. Dabei sollte klar sein, dass das Wohlbefinden bzw. damit assoziierte Größen eine Hauptrichtung des Einflusses der Führungskraft markiert. Die andere Hauptrichtung ist die (gemeinsame) Bestimmung und Umsetzung der zu erreichenden (Team-)Ziele und darüber hinaus gehender Aufgaben, die in Summe den sachlichen Zweck der Organisation ausmachen. Auf den ewigen Streit, was in welcher Form durch das Führungshandeln in welchem Umfang tangiert werden sollte, gehe ich hier nicht ein. Jede Führungskraft fährt sicherlich gut, beides im Blick zu behalten und auf Interdependenzen zu setzen, wie zum Beispiel: Erfolg fördert die Motivation und Motivation trägt zum Erfolg ein. Ein Denken in Wechselbeziehungen ist meines Erachtens (langfristig) ein Schlüssel für eine gelingende Führungsbeziehung.